INSIDE CONSULTING

Im HR-Bereich rückt der Aspekt der Wertschätzung der Individualität aller Mitarbeiter:innen zunehmend in den Vordergrund. Firmen, die die Prinzipien von „New Work“ authentisch verfolgen möchten, sind dazu angehalten, ihre Angestellten auf einer personalisierten, d.h. persönlichkeitsbasierten, Ebene zu unterstützen. Ebenso stellt in der Coachingpraxis die Betrachtung der Persönlichkeit eine zentrale Komponente dar, um Verhaltensmuster besser zu durchdringen und individuelle Entwicklungsprozesse zu fördern.

Aus diesem Grund greifen zahlreiche Experten im HR-Bereich und Coaches vermehrt auf Persönlichkeitsanalysen zurück. Obgleich ich diesen Fortschritt sehr befürworte, bemerke ich dabei häufig wiederkehrende Fehler. Hier präsentiere ich meine persönlichen Top 5, auch wenn diese Aufzählung keinesfalls als abschließend betrachtet werden sollte – kommentieren Sie gern, was ich übersehen habe oder welche Aspekte unbedingt ergänzt werden sollten.

1. Die Anwender:innen mit den Ergebnissen allein lassen

20 Führungspersonen absolvieren eine Persönlichkeitsanalyse, erhalten ihre Resultate und danach folgt … Stille. Ganz nach dem Motto „Lest es und macht das Beste draus“. Der Nutzen einer solchen Vorgehensweise ist begrenzt. Bedeutend wirksamer wäre es, zumindest eine gemeinsame Diskussion der Ergebnisse zu ermöglichen oder, noch besser, die Persönlichkeitsanalyse in eine Personalentwicklungsmaßnahme, ein Coaching oder einen Workshop zu integrieren. Wirklich gute Ergebnisse liefert die Arbeit mit Persönlichkeitsanalysen, wenn die Ergebnisse auf ein konkretes Thema, eine konkrete Fragestellung angewandt werden. Die Grundfrage dabei lautet: „Welchen Einfluss hat meine Persönlichkeit auf dieses Thema und wie kann sie zur Lösung beitragen?“

2. Denken in Extremwerten und Schubladen

Persönlichkeitsmerkmale sollten als Kontinuum verstanden werden, nicht als „Entweder-oder“. Im Falle von Introversion/Extraversion bedeutet dies: Niemand ist ausschließlich introvertiert oder extravertiert. Niemand ist „die Extravertierte“. Die wesentlichen Fragen sollten vielmehr lauten: Wo auf dem Spektrum zwischen extremer Introversion und extremer Extraversion befindet sich die betreffende Person? Wie sind die Anteile von Introversion und Extraversion zueinander? In welchen Kontexten tritt was zum Vorschein? Welche Unterfacetten dieser breiten Persönlichkeitsdimensionen sollten noch betrachtet werden?

3. Den Halo-Effekt nicht ausreichend in die Analyse einbeziehen

Es kommt häufig vor, dass ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal überbewertet wird, sodass es alle anderen Eigenschaften überlagert und die Person daraufhin reduziert wird. Zum Beispiel: „Die Gewissenhaftigkeit ist so stark ausgeprägt, diese Person muss eine pedantische Perfektionistin sein!“ Dass die Person jedoch noch viele weitere Persönlichkeitsmerkmale aufweist, die in der Gesamtbetrachtung ebenso relevant wären, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Besonders ausgeprägt ist dieses Problem natürlich in sogenannten Typentests, in denen die gesamte Persönlichkeit auf ein Merkmal verdichtet wird.

4. Mangelnde Transparenz beim Einsatz des Instrumentes

Der Einsatz von Persönlichkeitsanalysen sollte stets von einer adäquaten Kommunikation begleitet werden. Es sollte klar sein: Was ist das Ziel und der Zweck? Wer hat Einblick in die Ergebnisse? Was geschieht anschließend mit ihnen und wie geht es weiter? So können viele Ängste und Widerstände schnell überwunden werden, denn moderne Persönlichkeitsanalysen sind Instrumente FÜR die Anwender:innen und liefern wertschätzende Ergebnisse, statt defizitorientierte Bewertungen oder Urteile.

5. Die Resultate als die ultimative, „in Stein gemeißelte“ Wahrheit darstellen

Jede Persönlichkeitsanalyse, ungeachtet ihrer Qualität, birgt einen gewissen Messfehler, denn es handelt sich um ein Modell von Persönlichkeit, und Modelle können die Realität naturgemäß niemals zu 100 Prozent abbilden. Wir können ein Konstrukt wie die „Persönlichkeit“ also nicht so präzise messen wie unsere Körpergröße. Das bedeutet, dass die Ergebnisse immer nur eine Annäherung an die „reale“ Persönlichkeit des Individuums darstellen können, eine gewisse Unschärfe bleibt immer. Umso bedeutender ist es, valide Modelle von Persönlichkeit – wie das Big-Five-Modell – zu nutzen, auf reliable Testverfahren zurückzugreifen und die Resultate kompetent zu besprechen bzw. zu kontextualisieren.

Ihr

Dr. Ronald Franke

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