Wie finde ich heraus, ob ich mein volles Potential als Führungskraft ausschöpfe und mit meinem Führungsstil meinen Mitarbeiter:innen in ihren jeweiligen Wünschen gerecht werde? Natürlich halten sich die meisten von uns, die eine Führungsposition innehaben, zunächst für eine gute Führungskraft. Bei einer intensiveren Beschäftigung mit der Thematik, kommen viele von uns dann allerdings doch ins Grübeln. Zurecht, denn Führung ist ein sehr komplexer sozialer Prozess, der die meisten Menschen vor große Herausforderungen stellt. Dies gilt vor allem, wenn man den Anspruch hat, allen Mitarbeiter:innen in ihren Bedürfnissen gerecht zu werden und nicht nur die eigenen Ziele und Vorstellungen „durchzudrücken“.
Unterschiedliche Perspektiven auf das Thema „gute Führung“
Nun gibt es natürlich unterschiedliche Wege, sich der Ausgangsfragestellung zu nähern. Folgende drei Perspektiven zur Einschätzung der eigenen Führungsperformance möchte ich im Folgenden etwas genauer erläutern:
- die subjektive Wahrnehmung (Eigenwahrnehmung, Beobachtungen, Gefühl, Gespräche),
- die objektiven Hinweise (Kündigungsrate, Krankenstand, Beschwerden, Leistung),
- die Fremdwahrnehmung (systematisches Feedback, 360 Grad Beurteilungen).
Die eigene Wahrnehmung
Die subjektive Wahrnehmung ist natürlich der erste und direkteste Weg zur Einschätzung der eigenen Führungsqualität. Hierbei sind allerdings einige Dinge zu beachten: Wir Menschen sind insgesamt nicht sehr gut darin, uns selbst einzuschätzen. So zeigen empirische Studien z.B. nur einen erschütternd niedrigen Zusammenhang zwischen der selbsteingeschätzten Intelligenz oder Attraktivität von Studieenteilnehmer:innen mit objektiv erfassten Daten u.a. über Intelligenztestests oder die Beurteilung der Attraktivität durch neutrale Juror:innen. Der Grund für diese fehlerhafte Selbsteinschätzung ist ein Mechanismus, den man selbstwertdienliche Verzerrung nennt. Dieser sorgt dafür, dass wir uns in der Regel überschätzen, wenn dies nur irgend möglich ist. Denn wichtiger als ein akkurates Urteil zu den eigenen Fähigkeiten ist in der Regel ein positiver Selbstwert, der uns Dinge wagen und positiv durchs Leben gehen lässt.
Objektive Kennzahlen
Der subjektiven Selbsteinschätzung sollten wir also zur Beurteilung unserer Führungsperformance eher nicht trauen. Besser geeignet sind da schon objektive Kennzahlen, wie die Kündigungsrate bei den mir unterstellten Mitarbeiter:innen, die Entwicklung des Krankenstandes oder die langfristige Performance meines Teams (kurzfristig lässt sich die Performance natürlich auch durch puren Druck erhöhen). Komplimente oder Schmeicheleien von Mitarbeiter:innen zählen nicht zu objektiven Daten, da die Intentionen hier diffus sind. Beschwerden über meinen Führungsstil können natürlich auch unterschiedliche Beweggründe haben, sollten aber immer ernst genommen werden. Die genannten objektiven Daten geben wertvolle Hinweise bezüglich meiner Führungsqualität, vor allem, wenn sie über einen längeren Zeitraum erhoben und die Entwicklung der Kennzahlen betrachtet werden. Die Daten verraten mir allerdings nicht, wo ich für eine Verbesserung des Status quo inhaltlich ansetzen könnte.
Ein Selbstbild-Fremdbild Abgleich
Um inhaltliche Informationen zur eigenen Führung zu bekommen, eignet sich am besten eine systematische Einschätzung durch kundige Fremdeinschätzer:innen wie z.B. Mitarbeiter:innen, Vorgesetzte oder Kolleg:innen auf der gleichen Ebene (sog. Peers). Eine solche Rundumeinschätzung (360 Grad Feedback) ermöglicht einen empirischen Selbstbild- Fremdbild Abgleich. Warum dieser so wichtig ist, wird deutlich bei einem Blick auf das bekannte Johari Fenster (siehe Abbildung 1). Von Bedeutung ist hier vor allem der Bereich rechts oben in der Ecke: der blinde Fleck.
Dieser ist so wichtig, da er die Informationen enthält, die andere über mich wahrnehmen, die mir selbst aber so nicht klar sind. Und hier wird es gefährlich, denn wenn ich z.B. davon ausgehe in der Öffentlichkeit sicher und souverän im Auftreten zu wirken, das in meinem Unternehmen allerdings anders gesehen wird, möchte ich dies natürlich wissen, um hier gegensteuern zu können. Daher an dieser Stelle ein klarer Apell für eine Ausweitung professionell durchgeführter Selbstbild-Fremdbild Abgleiche im Rahmen der Führungskräfteentwicklung. Denn kaum ein anderes Instrument bietet ein so großes Entwicklungspotential wie solche Feedbackprozesse – wenn denn die Offenheit und Reife bei den Führungskräften vorhanden ist mit den Ergebnissen konstruktiv umzugehen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Ausgangsfrage natürlich weniger trivial ist als es zunächst erscheinen mag. Es gibt allerdings ein paar verbindende Merkmale guter Führungskräfte: Eine Motivation zur Selbstreflexion, die Offenheit Neues zu lernen, eine gewisse Demut vor der Aufgabe und echtes Interesse an Weiterentwicklung. Insofern spricht schon die Tatsache, dass Sie diesen Artikel angeklickt und bis zum Ende gelesen haben dafür, dass Sie eine gute Führungskraft sind oder werden.
Ihr Ronald Franke